SUST: Flugtaktik führte zu Tobago-Absturz am Lopper

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4. Februar 2020: Der 4. August 2018 bleibt in der Schweizer Luftfahrt als „schwarzer Samstag“ in Erinnerung: Der Absturz einer Ju-52 bei Flims forderte 20 Todesopfer, am gleichen Tag riss der Absturz einer TB10 Tobago am Lopper eine vierköpfige Familie in den Tod. Der heute veröffentlichte SUST-Schlussbericht macht für den Absturz der Tobago eine risikoreiche Flugtaktik beim tiefen Überflug einer Krete verantwortlich.

Der Pilot des einmotorigen Kleinflugzeuges Socata TB10 Tobago HB-EZW startete am Vormittag des 4. August 2018 vom Flugplatz Kägiswil aus zu einer mehrtägigen Ferienreise nach Holland. Am Vorabend hatte er einen Flugplan nach Basel aufgegeben und das Flugzeug vor dem Start für eine Gesamtflugdauer von rund drei Stunden betankt. Für den Flug waren der Pilot mit seiner Frau und ihre beiden Kinder an Bord.

Nach dem Durchführen einer Funktionskontrolle des Motors (run-up) startete die HB-EZW der Motorfluggruppe Pilatus um 9.46 Uhr nach einer Startrollstrecke von ungefähr 450 Metern. Gemäss dem Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) stieg die HB-EZW bei einer Geschwindigkeit (Ground Speed) von ungefähr 70 Knoten mit einer Steigrate von rund 400 Fuss pro Minute, bevor sich die Geschwindigkeit bei reduzierter Steigrate (220 Fuss pro Minute) auf 79 Knoten erhöhte. Per Funk gab der Pilot seine Absicht bekannt, via Lopper in Richtung Emmen zu fliegen – was einer publizierten und in Kägiswil gebräuchlichen Ausflugroute entspricht.

Über dem Alpnachersee drehte die HB-EZW auf einen nördlichen Kurs Richtung Renggpass, einem kleinen Einschnitt am Lopper. Wie die SUST schreibt reduzierte sich die Geschwindigkeit bei der Annäherung an die Krete wieder auf rund 70 Knoten, dies bei einer durchschnittlichen Steigrate von ungefähr 300 Fuss pro Minute. Das Flugzeug kollidierte dann auf einer Höhe von rund 900 Metern (2953 Fuss / AMSL) mit Baumkronen auf der Krete des Renggpasses. In einer steilen Spirale stürzte das Flugzeug auf der anderen Seite der Krete nahezu senkrecht auf dem Gemeindegebiet von Hergiswil ab und fing Feuer. Alle vier Insassen kamen beim Aufprall ums Leben.

Die Untersuchung der SUST konnte weder technischen Mängel am Flugzeug noch eine Beeinträchtigung des Piloten feststellen. Die SUST hält in ihrem Abschlussbericht zum Unfall fest, dass die Dichtehöhe (density altitude) am Unfallort aufgrund der hohen Temperaturen rund 4700 Fuss (AMSL) betragen hat. Damit war die Steigleistung gegenüber Standardbedingungen um rund 8 Prozent verringert. Bei maximalem Startegwicht betrug die maximal verfügbare Steigrate demnach noch knapp 600 Fuss pro Minute – was laut den Berechnungen der SUST den Überflug des Loppers mit einer Überhöhung von rund 300 Metern ermöglicht hätte. Der Wind war zum Unfallzeitpunkt nur schwach.

Gemäss Angaben des Herstellers im Luftfahrzeughandbuch (AFM) wird die maximale Steigrate bei maximalem Abfluggewicht bei einer Geschwindigkeit von 78 Knoten IAS (Indicated Air Speed – Geschwindigkeit gegenüber der umgebenden Luft) erreicht, der beste Steigwinkel bei 62 Knoten IAS. Im AFM der Tobago ist auch festgehalten, dass der Steigflug auch bei höheren Geschwindigkeiten durchgeführt werden könne, um die Sicht nach vorne und die Motorkühlung zu verbessern. Mit reduzierter Leistung könne zudem die Lärmentwicklung verringert werden.

Die SUST hat im Verlauf ihrer Untersuchung mit modernsten Mitteln ein 3D-Modell der Kollisionsstelle wie auch ein 3D-Modell des Flugzeugs erstellt, um den Unfallhergang zu rekonstruieren. Die Modellierung ergab, dass sich das Flugzeug bis zur Kollision in einer Steigfluglage befunden hat. Es habe sich auch gezeigt, dass die Sicht des Piloten auf die Krete stark eingeschränkt war – je nach Sitzposition, Körperhaltung und Längsneigungswinkel des Flugzeuges (pitch attitude) sei die Krete für den Piloten knapp oder kaum sichtbar gewesen. Die SUST rechnet damit, dass der Pilot von der Kollision überrascht wurde.

Bei maximaler Leistung wäre ein Überflug der Krete in rund 300 Metern über Grund möglich gewesen. Weil auf dem Unfallflug nur etwa 50 Prozent der maximal möglichen Steigrate erzielt wurde, geht die SUST davon aus, dass der Pilot eine reduzierte Leistung wählte. Die Annäherung an die Krete des Renggpasses habe in einem stumpfen Winkel sowie mit geringer Geschwindigkeit im Steigflug mit schlechter Sicht auf die Krete erfolgt.

Als ehemaliger Militärpilot und Chefpilot der Pilatus Flugzeugwerke verfügte der Pilot über eine sehr grosse Erfahrung mit über 8000 Flugstunden. Allerdings war er in den letzten zwei Jahren vor dem Unfall laut SUST nie mit dem Unfallmuster geflogen und hatte in diesem Zeitraum nur zehn Stunden als Pilot auf einmotorigen Flugzeugen mit Kolbenmotor absolviert. Dass der Pilot fast ausschliesslich Erfahrung auf leistungsstarken Flugzeugmustern besass, ist gemäss SUST eine mögliche Erklärung für die Wahl der verhängnisvollen Flugtaktik. Leistungsstarke Flugzeugmuster hätten vergleichbare Manöver mit entsprechenden Geschwindigkeitsreserven zugelassen, so der SUST-Bericht.

Als Unfallursache sieht die SUST, dass der Pilot eine risikoreiche Flugtaktik wählte, indem er die Krete in einem stumpfen Winkel bei geringer Geschwindigkeit im Steigflug zu tief anflog. Das fehlende Training auf dem Unfallmuster habe zum Unfallhergang beigetragen. Eugen Bürgler

Der Flugweg der HB-EZW vom Flugplatz Kägiswil zum Renggpass am Lopper (rechts) gemäss SUST-Bericht:

Rekonstruktion des Flugweges der HB-EZW. Quelle SUST

Rekonstruktion der Sichtverhältnisse aus der HB-EZW vor der Kollision bei kleinerem (links) und grösserem Längsneigungswinkel (pitch attitude):

www.sust.admin.ch

SUST-Schlussbericht HB-EZW