Debakel für den NH90 in Norwegen

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18. Juni 2022: Der europäische Helikopter NH90 kommt nicht über die Probleme hinweg, die ihn seit Anfang an begleiten. Der Transport- und Marinehubschrauber verfügt zwar über moderne Technologien, doch in der Einsatzpraxis scheitert er vielerorts zu oft. Nun will Norwegen seine NH90 zurückgeben und fordert das Geld zurück.

Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, der aufhorchen lässt: Kurz vor dem Übergabetermin des letzten von 14 NH90 für die norwegische Marine und Küstenwache hat die norwegische Regierung entschieden, den NH90-Vertrag mit dem Herstellerkonsortium NH Industries (NHI) zu kündigen und die 13 bereits erhaltenen Helikopter zurückzugeben. Gleichzeitig will Norwegen von NHI 490 Millionen Euro zurück, die für die NH90 bezahlt wurden. An einer Pressekonferenz des norwegischen Verteidigungsministeriums wurde Klartext gesprochen: Der NH90 werde «niemals in der Lage sein, die Anforderungen der norwegischen Streitkräfte zu erfüllen», egal wie viele Stunden die Techniker arbeiten würden und egal, wie viele Ersatzteile man für den Helikopter noch bestelle. Norwegen habe wiederholt versucht, die Probleme in Zusammenarbeit mit NHI zu lösen, aber auch mehr als 20 Jahre nach Vertragsunterzeichnung verfüge Norwegen noch immer nicht über Hubschrauber, die in der Lage seien, ihren Auftrag zu erfüllen. Eigentlich wären für die norwegische NH90-Flotte derzeit etwa 3900 Flugstunden pro Jahr vorgesehen, tatsächlich realisiert werden konnten aber nur etwa 700 jährliche Flugstunden.

NHI Industries zeigte sich in einer Mitteilung «extrem enttäuscht» von der norwegischen Entscheidung und wies die Anschuldigungen gegen den NH90 und die Herstellerfirma zurück.  NH Industries habe nicht die Möglichkeit erhalten, das letzte Angebot zur Lösung der Probleme zu unterbreiten, damit der NH90 die spezifisch norwegischen Anforderungen in Zukunft erfüllen könne.

Norwegen ist aber nicht alleine mit seinem NH90-Frust. Zwar hat der mittelgrosse Transport- und Mehrzweckqualitäten mit moderner Fly-by-Wire Steuerung durchaus Qualitäten zu bieten, doch sind etwa in Deutschland grosse Verspätungen, sehr niedrige Verfügbarkeit und Probleme bei der Wartung Thema, seit es den NH90 gibt. Jüngst kamen aus Frankreich und den Niederlanden Klagen über Korrosionsprobleme bei der Marineversion. In Australien, wo bei der Army seit 2007 40 MRH90 in Dienst gestellt wurden, hat man die Reissleine bereits gezogen. Eigentlich hätten die NH90 dort bis 2037 in Dienst bleiben sollen, doch die Anforderungen bezüglich Betriebskosten und Verfügbarkeit wurden nicht erfüllt. Ende 2021 hat die australische Regierung beschlossen, die 40 NH90 der Army vorzeitig durch 40 neue UH-60M Black Hawk zu ersetzen. Auch in Belgien ist grosse Unzufriedenheit mit dem Heli gewachsen. In Armeekreisen wurde nicht nur die schlechte Verfügbarkeit kritisiert, sondern auch die hohen Betriebskosten: Der NH90 sei pro Flugstunde teurer als die F-16, hiess es in Belgien. Deshalb will sich auch Belgien vorzeitig von seinen vier NH90 in der Truppentransportversion (TTH) trennen.

Obwohl von anderen NH90-Nutzern – immerhin haben 14 Nationen über 400 Stück bestellt – weniger Klagen zu hören sind, ist es doch sehr ungewöhnlich, dass mehrere Nationen relativ neu beschaffte Helikopter nach wenigen Jahren und grossen Investitionen wieder loshaben wollen. Offensichtlich schafft es dass das multinationale Konsortium mit Sitz in Frankreich nicht, das komplexe Programm zur Zufriedenheit der Kunden zu managen. NH Industries gehört Airbus Helicopters, Leonardo Helicopters und Fokker.  Eugen Bürgler www.nhindustries.com